Im November 2015 erkannte die FDA (US-amerikanische Arzneimittelbehörde) nach Jahren von Beschwerden und Hinweisen von zahlreichen geschädigten Personen, das Vorhandensein eines potenziell dauerhaften Syndroms an, welches als Fluorchinolon-assoziierte Behinderung (Fluoroquinolones Associated Disability – FQAD) bezeichnet wird. Diese Erkrankung ist durch schwerwiegende Beeinträchtigungen des Nervensystems und des Muskel-Skelett-Systems gekennzeichnet, die sofort oder Monate nach der letzten Einnahme von Fluorchinolon-Antibiotika auftreten können. Im Jahr 2017 leitete die EMA (europäische Arzneimittelbehörde) im Anschluss an die FDA ebenfalls eine Untersuchung ein, die im März 2019 dazu führte, dass die Verwendung dieser Antibiotika vollständig neu definiert und deren Einsatz erheblich eingeschränkt wurde.
Geschrieben von Luca M.
Fluorchinolone Administrator:
Selbsthilfegruppe für von Antibiotika geschädigte Personen
Toxizität von Fluorchinolonen
Fluorchinolone (FQ) sind häufig verwendete Antibiotika zur Bekämpfung von Infektionen, die durch gramnegative und grampositive Bakterien verursacht werden. Dazun zählen folgende Wirkstoffen: Cinoxacin, Ciprofloxacin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin, Pefloxacin, Pipemidinsäure, Prulifloxacin, Rufloxacin, Flumequin und Nalidixinsäure.
Diese Antibiotika wurden über viele Jahre hinweg vielen Menschen zur Behandlung von Blasenentzündungen und gewöhnlichen Infektionen der oberen Atemwege verschrieben, ohne die tatsächliche Risiko-Nutzen-Bilanz zu berücksichtigen, die in den neuesten Parmakovigilanzuntersuchungen festgestellt wurde.
Studien gehen davon aus, dass die Toxizität dieser Antibiotika mit einer durch sie verursachten Störung des mitochondrialen Erbguts zusammenhängt. Dadurch würden die „Kraftwerke“ der Zellen beeinträchtigt, was wiederum zu Funktionsstörungen in mehreren Organen führen kann – Störungen, die zudem oft schwer durch Routineuntersuchungen feststellbar sind.
Vertiefung: Die Chinolon- und Fluorchinolon-Antibiotika
Symptome von FQAD (Invalidität durch Fluorchinolone)
Dies sind die Symptome von Personen, die an FQAD leiden.
Schlaflosigkeit, Angstzustände und Panikattacken
Aufgrund von Veränderungen des Neurotransmitters GABA (Gamma-Aminobuttersäure) können Angstzustände und häufiges nächtliches Erwachen auftreten, die erholsamen Schlaf verhindern und von einigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten andauern können. Häufig treten auch Zustände von Verwirrung auf, die insbesondere an belebten Orten besonders stark ausgeprägt sind.
Periphere Nerven
Schmerzen, Brennen, veränderte Empfindlichkeit gegenüber Wärme und Kälte, ein Gefühl von Nadelstichen oder das Gefühl, als würde ein Strumpf einen Körperteil umwickeln, können in jedem Bereich des Körpers auftreten. Am häufigsten zeigen sich diese Symptome jedoch in den äußeren Bereichen der Gliedmaßen, also von den Knien abwärts und von den Ellenbogen abwärts. Dabei handelt es sich um Neuropathien der kleinen Nervenfasern.
Urogenitaltrakt
Viele Menschen entwickeln Neuropathien im urogenitalen Bereich und leiden unter Symptomen, die einer Blasenentzündung oder einer vaginalen Infektion ähneln, auch wenn in den Urinkulturen keine entsprechenden Erreger nachgewiesen werden können. Dabei handelt es sich um Beckenneuropathien, Pudendusneuralgien und (bei Frauen) Vulvodynie.
Vertiefung: Die urogenitale Beckenneuropathie
Sehnen
Es gibt außerdem die klassischen Sehnenentzündungen, die nichts mit Überlastungen durch sportliche Betätigung zu tun haben. Diese sind auf eine Veränderung der Metalloproteinasen (MMP) zurückzuführen und können bereits wenige Stunden nach der Einnahme auftreten, aber auch erst nach mehreren Monaten. Sie können jede Sehne betreffen (nicht nur die Achillessehne, wie oft angenommen) und sind häufig durch Phasen der Besserung gekennzeichnet, auf die unerklärliche Verschlechterungen folgen. Manchmal wandern sie von einer Sehne zur anderen und verschwinden auch nach Jahren nicht. Häufig sprechen sie nicht auf die übliche Behandlung für klassische Sehnenentzündungen an.
Muskeln
Es kann zu Muskelsteifheit kommen (oft stärker am Morgen), Schmerzen, Brennen, einem Gefühl von Erschöpfung und Schwäche sowie zu Zittern, obwohl die entsprechenden Laborwerte (wie CPK und Laktat) völlig unauffällig sind.
Gelenke
Es können Probleme an den Schultergelenken, den Handgelenken, den Gelenken der Hände und Beine auftreten, wobei besonders oft die Knie und Füße betroffen sind, an denen häufig Plantarfasziitis auftritt. In einigen Fällen sind die Wirbel betroffen und zeigen Anzeichen einer ungewöhnlichen Austrocknung.
Gehör
Ohrensausen (Tinnitus) tritt oft erst nach einigen Wochen auf und ist fast immer dauerhaft. Manchmal geht es mit einer verminderten Hörfähigkeit einher.
Augen
Die Symptome können vielfältig sein, von einfachen „fliegenden Mücken“ (Glaskörpertrübungen), die üblicherweise einige Wochen oder Monate nach der Einnahme auftreten und auf den Abbau von Glaskörperkollagen zurückzuführen sind, bis hin zu einer vollständigen Ablösung des Glaskörpers. In einigen Fällen gibt es eine verstärkte Lichtempfindlichkeit und eine Veränderung der nervlichen Signalübertragung zwischen Augen und Gehirn, was unter bestimmten Lichtverhältnissen zu ähnlichen Wahrnehmungen wie „Visual Snow" (visuelles Rauschen) führen kann. Andere Betroffene leiden unter ungewöhnlichen Katarakten oder Lichtblitzen, die durch kleine Netzhautblutungen verursacht werden. Bei einigen Personen treten Anomalien in den Tränenkanälen auf, was zu trockenen Augen führt.
Geruchssinn
Bei einigen Personen werden außerdem Veränderungen des Geruchssinns festgestellt, wie die leichte Wahrnehmung von verbranntem Geruch.
Mundhöhle
Es kann eine Schwächung der Zähne und des Zahnfleisches auftreten, ein brennendes Gefühl auf der Zunge und Geschmacksveränderungen; manche berichten von einem metallischen Geschmack im Mund.
Haare
Einige Menschen beklagen auch eine Veränderung der Haarstruktur: Glatte Haare können kraus werden, außerdem können Haare ihre Farbe ändern und sogar bei jungen Menschen weiß werden.
Herz
Im Bereich des Herzens kann es zu Tachykardie oder einer haltungsbedingten Kreislaufstörung/Tachykardie, genannt POTS kommen, bei der sich der Herzschlag im Stehen um 30 bis 40 Schläge pro Minute beschleunigt und sich im Sitzen oder Liegen wieder normalisiert. In einigen Fällen treten auch Blutdruckschwankungen auf, während der Blutdruck in anderen Fällen konstant bleibt.
Kältegefühl
Einige verspüren ein allgemeines Kältegefühl, ähnlich wie bei Fieber; häufig geht dies mit einer niedrigen Körpertemperatur, sinkend bis auf 34,5 Grad, einher. Dies ist auf einen Rückgang des ATP-Spiegels zurückzuführen, wodurch es dem Körper schwerfällt, die korrekte Basaltemperatur aufrechtzuerhalten.
Erschöpfung
Bei vielen Betroffenen wird eine anhaltende Erschöpfung festgestellt, die morgens oft stärker ist und sich bei einigen durch Bewegung bessert. In solchen Fällen kann eine Umkehrung der Cortisolkurve vorliegen.
Darm
Es können verschiedene Darmprobleme oder Unverträglichkeiten gegenüber bestimmten Lebensmitteln auftreten, die vor der Einnahme der Fluorchinolone gut vertragen wurden.
Gewicht
Wir haben Fälle von starkem Gewichtsverlust von bis zu 25 kg beobachtet, ebenso wie das Gegenteil (Gewichtszunahme).
Schilddrüse
Bei einigen Personen traten Schilddrüsenprobleme auf, die vorher noch nie aufgetreten waren.
Verspätete Anerkennung von FQAD
Die Frage, die sich spontan stellt, lautet: Wie ist es möglich, dass das Fluorchinolon-Syndrom erst jetzt, 35 Jahren nach der Markteinführung, anerkannt wurde?
Diese Verzögerung ist auf folgende besondere Eigenschaften der Symptome zurückzuführen, die es schwer machen, sie direkt mit der Einnahme des Medikaments in Verbindung zu bringen:
- Verzögerte Effekte
Die Nebenwirkungen manifestieren sich ganz anders als bei anderen Medikamenten, da sie von wenigen Stunden nach der Einnahme bis zu 12 Monate nach dem Absetzen auftreten können. - Multisystemische Effekte
Die Symptome können mehrere Organe betreffen und das auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. - Dosis-unabhängige Effekte
Die Symptome können bereits nach einer einzigen Dosis auftreten oder erst nach mehreren Antibiotika-Zyklen. Daher kann niemand sicher davon ausgehen, immun zu sein (wir haben viele Fälle von Menschen gesehen, die das Medikament mehrmals ohne Probleme eingenommen haben, aber dann, beim x-ten Zyklus, die schwersten, invalidisierenden Symptome aufweisen). - Es handelt sich nicht um allergische Reaktionen
Die Toxizität der Fluorchinolone ähnelt eher einer Form von Vergiftung, daher sind Allergietests nicht geeignet, um festzustellen, ob eine FQ-Toxizität vorliegt. - Wechselhaftigkeit der Symptome
Einmal aufgetretene Symptome können über einen gewissen Zeitraum nachlassen und dann scheinbar grundlos oder in Verbindung mit der Einnahme anderer Medikamente (insbesondere NSAR oder Kortison) wieder aufflammen. Einige Symptome sind morgens stärker ausgeprägt und lassen abends oder durch Bewegung etwas nach. - Unauffällige Blutuntersuchungen
All diese Symptome können bei einer Person vorhanden sein, ohne dass Blutuntersuchungen Auffälligkeiten zeigen – abgesehen von gelegentlich veränderten Parametern des oxidativen Stresses, die jedoch normalerweise nicht getestet werden.
Die Kombination dieser Faktoren verwirrt häufig die Ärzte, die es für unwahrscheinlich halten, dass das Medikament für die Symptome verantwortlich ist. Sie vermuten stattdessen andere Ursachen des Unwohlseins. Die häufigsten Diagnosen sind:
🔹 ANGST UND STRESS
🔹 FIBROMYALGIE
🔹 CHRONISCHE ERSCHÖPFUNG
Das bedeutet nicht, dass diese drei Krankheitsbilder immer auf Fluorchinolone zurückzuführen sind. Aber wenn dir eine dieser Diagnosen gestellt wurde, ist es ratsam zu überlegen, ob die Beschwerden einige Monate nach einer Therapie mit Fluorchinolonen aufgetreten sind. In diesem Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass die Ursache tatsächlich auf die Einnahme dieser Antibiotika zurückzuführen ist und es sich möglicherweise um FQAD, also eine Invalidität durch Fluorchinolone, handelt.
Behandlung der Invalidität durch Fluorchinolone
Leider gibt es kein offizielles Protokoll zur Behandlung dieses Syndroms. Die Pharmakovigilanz-Behörden empfehlen lediglich, die Einnahme von Fluorchinolonen beim Auftreten von Problemen abzubrechen und einen Arzt aufzusuchen. Dabei ergeben sich jedoch zwei Probleme: Erstens treten die Symptome häufig erst nach Abschluss der Behandlung auf, sodass nichts mehr abgesetzt werden kann. Zweitens ist dieses Syndrom, das erst vor wenigen Jahren offiziell anerkannt wurde, bei fast allen Ärzten noch unbekannt.
Weltweit haben sich jedoch Gruppen von Betroffenen gebildet, die nach und nach Informationen, Studien sowie Ratschläge einiger Ärzte und Forscher gesammelt haben. Dadurch konnten sie Kombinationen von Nahrungsergänzungsmitteln identifizieren, die zumindest einige Symptome lindern können.
Vertiefende Informationen
Wenn du Google Chrome verwendest, werden die verlinkten englischen Seiten automatisch ins deutsche übersetzt.
OFFIZIELLE ARZNEIMITTELÜBERWACHUNGSBEHÖRDEN
- EMA 2017-2019 – Verfahren der europäischen Pharmakovigilanz zur Einschränkung der Anwendung von Fluorchinolon-Antibiotika aufgrund schwerer, invalidisierender Reaktionen
- EMA 25/06/2018– Liste der Erfahrungsberichte von Betroffenen, die dem Prüfverfahren der EMA beigefügt wurden
- AIFA 08/04/2019 – Warnhinweis-Dokument, das an alle Ärzte und Gesundheitsfachkräfte bezüglich der Gefahren von Fluorchinolonen gesendet wurde
- FDA 03/08/2018 – FDA aktualisiert Warnhinweise für orale und injizierbare Fluorchinolon-Antibiotika aufgrund von schwerwiegenden Nebenwirkungen
- AIFA 22/06/2020 – Leitfäden für Gesundheitsfachkräfte und Patienten zu Fluorchinolon-Antibiotika
ZEITUNGSARTIKEL
ARTIKEL IN WISSENSCHAFTLICHEN FACHZEITSCHRIFTEN
- US NATIONAL LIBRARY OF MEDICINE 2017 – Eine der umfassendsten Studien zu den möglichen Ursachen einer Fluorchinolon-Vergiftung
- NATURE 21/03/2018– Eine der weltweit wichtigsten wissenschaftlichen Fachzeitschriften
- BRITISH MEDICAL JOURNAL – Eine der weltweit bedeutendsten medizinischen Fachzeitschriften